Viele Naturfotografien entspringen der Inspiration des Augenblicks. Man ist in der Natur unterwegs und eine zufällige Begegnung oder eine Lichtsituation führt zu einer Bildidee. Dieses „sich treiben lassen“ bedarf keiner weiteren Vorbereitung und kann eine sehr entspannte Form des Arbeitens sein. Doch liegt es im Wesen dieses Vorgehens, dass man nicht weiß, ob und was am Ende dabei herauskommt. Vielleicht ist das auch nicht immer erforderlich. Aber es gibt Handlungsfelder in der Naturfotografie, in denen man so nicht arbeiten kann.
Für ein aktuelles Buchprojekt dokumentiere ich die Wiederansiedlung der Meerforelle und des atlantischen Lachses in einem Fluss vor meiner Haustür. Dieses von einem lokalen Fischereiverein betriebenen Projekt hat viele Bausteine. Dazu gehört die Renaturierung ganzer Flussabschnitte oder auch das Schaffen von Fischtreppen, damit die großen Wanderfische Wehre wieder überwinden können. Doch auch damit ist es nicht getan. Damit die Wiederansiedlung dauerhaft funktioniert, müssen möglichst viele Jungfische hier vor Ort in den Gewässern geboren werden. Von hier ziehen sie in den Atlantik und kehren Jahre später als stattliche Fische eben in diese Flüsse zurück, um sich fortzupflanzen. So entsteht nach und nach eine eigene Population.
Unter natürlichen Bedingungen schlüpfen aus den abgelaichten Eiern eines Lachses oder einer Meerforelle 3 %. Der Rest wird gefressen. Von diesen 3 % kommt 1 % als Fisch wieder in das Herkunftsgewässer zurück, um dort zu laichen und selbst für Nachwuchs zu sorgen. Der Fischereiverein fängt in jedem Winter mit behördlicher Genehmigung einige laichbereite Fische und entnimmt ihnen die Eier, um sie in einem ehrenamtlich betriebenen Bruthaus auszubrüten. Durch die Initiative des Fischereivereins schlüpfen 93 % der Fische. Jährlich werden den Tieren rund 20.000 Eier entnommen. Unter natürlichen Bedingungen würden sich aus 20.000 Eiern rund 600 Fische entwickeln. Davon kehren 6 Fische zurück, um sich fortzupflanzen. Mit Hilfe des Vereins entwickeln sich aus 20.000 Eiern rund 18.600 Fische. Davon kehren 186 Fische zurück. Das sind 3.100 % mehr! Auf diese Weise kann ein natürlichet Bestand in einem überschaubaren Zeitraum entstehen.
Um diese Geschichte zu fotografieren, ist ein Konzept erforderlich. Das Fangen der Elternfische im Laichrevier gehört ebenso dazu, wie das Besamen der Eier oder die ehrenamtliche Arbeit im Bruthaus. Doch bevor das möglich ist, bedarf es enger Absprachen mit den Verantwortlichen des Fischereiverein. Das Einverständnis der handelnden Personen ist nötig, auch für eine spätere Publikation. Um in den jeweiligen Situationen aussagekräftige Bilder zu erstellen, ist es wichtig zu verstehen, was passiert. Dazu lasse ich mir die Vorgänge im Vorhinein möglichst detailliert erklären, um Bildideen zu entwickeln.
Aus dem Ei entwickelt sich in wenigen Wochen ein kleiner Fisch, der sich übergangsweise noch aus einem eigenen Dottersack ernährt. Um die Entwicklungsstadien des heranwachsenden Fisches zu dokumentieren, bediente ich mich einer Studiotechnik, die der schottische Naturfotograf Niall Benvie etabliert hat. Im Bruthaus des Vereins konnte ich die winzigen Fische in einem Aquarium und vor einem überbelichteten weissen Hintergrund fotografieren. Der leicht überstrahlte Hintergrund erleichtert dann in der Bildbearbeitung das Freistellen der Fische und die spätere Montage zu einer Collage. Das Verfahren hat Niall Benvie auf seiner Webseite in einem Tutorial sehr gut beschreiben. Die Typografie, der Satz und die Farbwahl machen das Bild zu einem Poster und geben der Grafik für das Layout eine Inspiration.