Derzeit arbeite ich an einem Projekt über die Hunte. Dieser Fluss entspringt im Wiehengebirge und fließt zunächst als kleiner Bach hinunter in die norddeutsche Tiefebene. Er entwässert auf seinen 189 Kilometern von der Quelle bis zur Mündung, Moore, füllt den Dümmer mit Wasser, durchquert die Geest und nimmt in Oldenburg angekommen Kurs auf die Weser. Dabei durchquert sie die Wesermarsch und wird zu einer Bundeswasserstraße.
Seit Menschen an der Hunte siedeln, verändern sie den Fluss. Er wurde aufgestaut, um die Wasserkraft zu nutzen. Die Befischung diente als sichere Nahrungsgrundlage für unsere Vorfahren. Schiffe eroberten den Fluss und erleichterten den Transport von Gütern. Aber nicht nur der Mensch wirkt unentwegt auf den Fluss ein. Am Urstromtal der Hunte kann man heute noch erahnen, welche Wassermassen der Fluss nach der letzten Eiszeit ins Meer transportiert haben muss. Die klimatischen Bedingungen haben sich seit dem Ende der Eiszeit vor rund 10.000 Jahren massiv verändert und damit auch die Aufgabe und Bedeutung des Flusses in seinem Ökosystem.
Die auf den griechischen Philosophen Heralit zurückgehende Formel „panta rhei“ beschreibt, dass alles fließt und man nicht zweimal in den selben Fluss steigen kann. Auch Goethe bezog sich in dem Gedicht Dauer im Wechsel direkt auf Heraklit:
„Gleich mit jedem Regengusse
Ändert sich dein holdes Tal
Ach, und in dem selben Flusse
Schwimmst du nicht zum zweitenmal“
Diese beiden Gedanken zeigen, dass ein Fluss etwas Dynamisches ist und gleichsam ein Sinnbild für Veränderung darstellt.
Nun mögen Sie sich fragen, was derartige Gedanken mit einem Fototip zu tun haben? Ich bin der Meinung sehr viel. Der kanadische Fotograf YOUSUF KARSH wird mit den Worten zitiert: „Fotografieren heißt Bedeutung schenken“. Doch um das tun zu können muss man zum Wesentlichen eines Motivs durchdringen. Es gilt, die Bedeutung zu ergründen, um sie zu visualisieren. Man könnte auch sagen, zunächst muss eine Idee geboren werden, die idealerweise die Essens in einem Bild verdichtet.
Darum ist die Recherche so wichtig. Es wird die Frage gestellt, wann, wo und unter welchem Umständen läßt sich ein Thema derart fotografieren? Im Fall der Hunte ging es mir darum, zu zeigen, dass der Fluss auch heute noch etwas von seiner Dynamik und Unbändigkeit bewahrt hat. Dazu war Hochwasser erforderlich. Im Barneführer Holz folgt der Fluss weitgehend seinem natürlichen Verlauf. Das Winterhochwasser nagt an dem Ufer und spült den Sand der Geest fort. Irgendwann trägt dann der Grund auch für die mächtigen Eichen nicht mehr und der Fluss führt sie mit sich. Als ich diesen Ort gefunden hatte, hieß es, auf das Hochwasser zu warten. Fünfmal bin ich dorthin gefahren. Beim letzten Besuch war ich nach meiner Vorstellung zur rechten Zeit am rechten Ort. Das hohe Ufer war mit leichtem Schnee überzogen und bildet dadurch einen Kontrast zu den anderen Bildelementen. Die Eiche hatte ihren Halt verloren und wird vom Fluss mitgerissen. Ihre vom Schnee nachgezeichneten Äste wirken wie Arme, die vergeblich versuchen, das Gleichgewicht und die Standfestigkeit wieder herzustellen. Und nicht zuletzt das Licht des späten Wintertages zeichnet den Fluss mit seiner Kraft nach und verleiht dem Bild zudem Tiefe und Farbigkeit.